ALTO HIEN
KUSCHELTIERE
Galerie Theresienstraße 13
29. April – 16. Mai 2010
Sehr geehrte Damen und Herren
Sicher erwarten Sie von mir jetzt als allererstes eine Erklärung, warum ich Ihnen hier in einer so seriösen Galerie im Herzen Münchens ausgerechnet KUSCHELTIERE zumute. Ist das noch zu fassen? Ein ernsthafter Maler, der es bis zum Schriftführer der Münchener Secession gebracht hat: endet so eine hoffnungsvolle Künstlerkarriere? Oder handelt es sich gar um sein seniles Alterswerk?
Am besten, ich erzähle Ihnen einfach wie es wirklich dazu kam:
Meine Frau und ich haben drei Kinder, die inzwischen alle sehr erwachsen sind. Meine Tochter, wie sie noch ganz klein war – vor 35 Jahren – lebte damals mit uns und mit einer Großfamilie von Kuscheltieren zusammen, die alle wild im Zimmer herumflogen oder lagen. Aber jeden Abend gab es denselben Ritus: sie versammelte alle Kuscheltiere in einer nur ihr bekannten Reihenfolge um das Kopfkissen herum, wobei jeden Abend ein anderes Kuscheltier direkt neben ihr mit einschlafen durfte. Jeden Abend eine entzückende Inszenierung eines kleinen Welttheaters – mit Monologen, mit Dialogen und choreografischen Einlagen.
Sie kennen sicher alle das rührende Abendgebet aus “Des Knaben Wunderhorn”, das Engelbert Humperdinck in seiner Oper “Hänsel und Gretel” so wunderbar vertont hat: “Abends, wenn ich schlafen geh, 14 Englein um mich stehn…” das war früher, als es noch Schutzengel gab. Heute lungern da 14 Kuscheltiere ums Bett herum.
Ich habe damals, einfach aus Rührung, begonnen, Kuscheltiere zu malen, so nebenher als Kuriosum – diese seltsamen Objekte kindlicher Träume und Projektionen. Es gibt ja Kuscheltiere, die ganz niedlich sind, mit unübersehbaren Spuren vom heftigen Gebrauch, abgelutscht, hinkend, ein Ohr abgerissen – aber innig geliebt.
Manche Kuscheltiere gleichen aber eher Monstern, grauenhafte Schlabberwesen. Für jeden formsensiblen, an der Früh-Renaissance geschulten Mitteleuropäer ein Gräuel – ja ein ärgernis! Aber – man muss ja nicht alles malen. Meine Auswahl ist – ich gebe es gerne zu – eher ästhetisch orientiert – und mit Humor. Ohne Humor geht hier nichts. Und das Lustige an dem Humor ist, dass er schnell ernst wird. Mein ganzes malerisches Können ist gefordert, um aus einem Kuscheltier ein Bild von einem Kuscheltier zu machen.
Heute – 35 Jahre später – bin ich von 4 Enkelkindern und circa 157 Kuscheltieren umzingelt. Sie können sich die Folgen ausmalen – ja! – ausmalen sagt man da! Eine Welle von Kuscheltieren schwappt über mich hinweg.
Natürlich hat das alles mit Kunst nichts – oder nur am Rande zu tun. Wir haben ja alle eine ganz bestimmte Vorstellung davon, wie und was Kunst ist – oder sein soll.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß sehr wohl, dass es in der Kunst Hauptwege gibt – und Holzwege und Irrwege. Mich faszinieren immer wieder die Nebenwege. Hier blühen Blumen am Wegesrand und die Welt ist vielfältig und bunt.
Ich habe die überraschende Erfahrung gemacht, dass alle Erwachsenen, die meine Kuscheltierbilder sehen, oder davon hören, mich seltsam von der Seite anschauen – nicht die Bilder, sondern mich – und dann eine eigene Geschichte, ihre eigene Kuscheltiergeschichte erzählen. Die gruseligste und zugleich erfolgreichste Kuscheltiergeschichte schrieb 1983 Stephen King: “Der Friedhof der Kuscheltiere”. Ein Grusel Krimi. Kuscheltiere mit Gänsehaut: so gehen die Erwachsenen mit diesem zarten Thema um!
Die so genannten Erwachsenen! Wie viele Kuscheltiere fahren täglich im Auto durch die Gegend – vorne am Rückspiegel baumelnd, oder hinten auf der Rückablage schön drapiert? Die Welt ist voller Kuscheltiere! – meine Damen und Herren!
“…und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Kuschelwort.”
Vor zwei Jahren habe ich in Österreich ein Kreativseminar für Pflegeberufe geleitet. Die Teilnehmer waren etwas verwirrt, als ich einen Koffer voller Kuscheltiere auspackte. Der Erfolg aber war überwältigend, weil – nach anfänglichem Zögern – alle mir bestätigten, dass die Beschäftigung mit Kuscheltieren ihnen die Augen geöffnet hätte für einen Kernpunkt ihres Berufs: die Einsamkeit ihrer Pflegebedürftigen. Wie viele Teddybären geben alten Menschen das letzte Gespräch, das letzte Kuscheln, das letzte Geleit?
Vor kurzem haben meine Frau und ich die Wohnung einer alten, kultivierten Freundin besichtigt, eine Künstlerin, die nach einem schweren Sturz in ein Pflegeheim gekommen ist. Sie ahnen schon, was wir in der verlassenen Wohnung vorfanden: Kuscheltiere – angehäuft zu einer herzerweichenden Kuscheltierpyramide: eine seelische Augenweide!
Sollte dieses mild belächelte Thema Kuscheltiere doch ernsthafter sein als zunächst angenommen? Ich glaube schon. Was Sie hier sehen, ist ja nur ein kleiner Aspekt eines wirklich großen, weit verzweigten Themas. Ich habe nur etwas an der Oberfläche gekratzt.
In der Psychologie und mehr noch in der Psychotherapie spielt das Kuscheltier in der Entwicklung des Kleinkindes als “Übergangsobjekt” eine ganz entscheidende Rolle: als Brücke zwischen der Seele des Kindes und der Außenwelt.
Apropos Kuscheltier: in allen anderen Sprachen heißt das Kuscheltier Plüschtier, also ganz banal nach dem Material benannt. Die deutsche Sprache, die Sprache der Dichter und Philosophen und der Künstler aber nennt liebevoll im Namen die Funktion des Tieres, nämlich kuscheln: “name follows function”.
Zum Schluss noch kurz die kleine Geschichte, warum der Teddybär Teddybär heißt:
Der amerikanische Präsident Theodor Roosevelt wurde 1902 an den Mississippi gerufen, um einen Grenzstreit zu schlichten. Da er ein passionierter Jäger war, nutzte er eine Verhandlungspause zur Jagd. Völlig erfolglos. Um die Enttäuschung des Präsidenten zu mildern, fing man einen Jungbären und band ihn mit dem Fuß an einen Baum, an dem Theodor Roosevelt vorüber kommen musste. Th. Roosevelt kam vorüber, sah das arme Bärchen und sprach: Wahrlich – ich sage euch: wenn ich diese Kreatur erschieße, kann ich meinen Kindern nicht mehr in die Augen schauen. Diese wahre Anekdote wurde in der Washington Post veröffentlicht und mit einem niedlichen Bild illustriert. Die Öffentlichkeit war so angetan von dieser Großmütigkeit, dass dieses kleine Bärchen fortan zu Roosevelts Markenzeichen wurde. Da der Name Theodor so lang war und schwer auszusprechen, nannte man das Bärchen nach Roosevelts Kosenamen: Teddy Roosevelt – also Teddybear.
Ironie des Schicksals: im selben Jahr 1902 nähte Margarete Steiff in Deutschland ihren ersten Bären, der später so berühmt werden sollte, aber einfach nur Bär hieß. Den Namen Teddy bekam er – wie alle anderen Bärchen auf der Welt auch – von Teddy Roosevelt aus Amerika.
Aber was erzähle ich Ihnen da alles?
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Amen.